Im ersten Teil „Wie walperisiert wurde die Studie Kindeswohl und Umgangsrecht“ sind wir vor allem auf die erheblichen Unterschiede in der Datenbasis und ausgelassene Studienteile eingegangen. Wie „walperisiert“ die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ zwischen 2019 und 2023 unter Mitwirkung von Prof. Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut? Im zweiten Teil beschäftigen wir uns nun mit konkreten Studienaussagen.
Ausgangsbasis ist dabei unsere Seite „Studienergebnisse und Bewertung“. Diese ist zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem die „walperisierte“ Version 2023 noch nicht bekannt war. Sie basiert auf den Feststellungen der Wissenschaftler mit Stand 13.11.2019. Einige Ergebnisse, insbesondere solche, welche politisch nicht erwünscht sein dürften, sind 2023 „verschwunden“ oder liefern eine komplett andere Aussage.
Die Studienaussagen in der Gegenüberstellung:
Aussage 2019 | Aussage 2023 | Kommentar |
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Beratung durch die Jugendhilfe wird selten in Anspruch genommen und häufig abgebrochen. (Factsheet) | Wie im vorigen Abschnitt beschrieben wurde, fällt die Bewertung der Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt eher moderat aus. Eltern bewerten die Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe allerdings positiver, wenn sie mit deren Hilfe eine Einigung finden konnten, als wenn es letztlich zu einem Gerichtsentscheid kam. | Einer klaren Kritik an dem Erfolg der Kinder- und Jugendhilfe wird eine wohlklingende, positive Formulierung eingesetzt, welche sich so weder in den hiesigen Studiendaten noch in anderen Erhebungen wiederfindet. Die häufigen Abbrüche der Beratungen tauchen nicht mehr auf. Politisch dürfte Kritik an der Jugendhilfe unerwünscht sein, denn die Zuständigkeit hierfür liegt beim BMFSFJ |
Kinder erleben Anhörungen im Verfahren als belastend. (Factsheet) | Erstaunlicherweise berichten die Eltern aber auch für Kinder mit Gerichtsentscheid weniger Belastungen der psychischen Gesundheit, sobald gleichzeitig in Rechnung gestellt wird, dass diese Regelungen häufiger gegen den Willen der Kinder getroffen werden und dass Familien mit Gerichtsentscheid von stärkeren Umgangsproblemen betroffen sind. (S. 155) | Eine völlig veränderte, fast gegensätzliche, Aussage. |
Großeltern bilden als Schutzfaktoren eine wichtige Ressource für Kinder im Kontext von Trennung und Scheidung. Es bedarf einer Stärkung ihrer Position in familienrechtlichen Fragen. (Factsheet) | Großeltern werden 2023 mit keinem Wort erwähnt. | Der Studienauftrag lautete, Daten und Fakten zu Kindeswohl und Umgangsrecht zu liefern und wurde nicht auf Mutter und Vater beschränkt. Die ursprünglichen Wissenschaftler haben dies 2019 noch berücksichtigt und herausgestellt, dass es zum Wohlergehen der Kinder erforderlich wäre, das bisher sehr schwach ausgeprägte Umgangsrecht der Großeltern zu stärken, um Kindern bessere Chancen zur Entlastung zu ermöglichen. Es ist völlig unverständlich, dass diese Studienaussage komplett entfallen ist. Für den Gesetzgeber, welcher Fakten für Gesetzesänderungen benötigt, ist dies eine erhebliche Einschränkung – für die Kinder sowieso. |
Kinder mit hohen Betreuungsanteilen durch beide Elternteile sind tendenziell zufriedener mit ihrer Lebenssituation, wobei 95% der Kinder in beiden Betreuungsmodellen mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind (Tab. 149, Abb. 77). (Basisstudie 3.2.3.5 Kinderinterview) | Findest sich in ähnlicher Form auf S. 123 / 124 unter 8.3.2 wieder. | |
Mütter empfinden Unterstützungs- und Beratungsleistungen fast doppelt so häufig als „sehr hilfreich“ (59,8%) wie Väter (29,3%). 70,1% der Mütter gaben ein sehr neutrales Verhalten der beratenden Person an, jedoch kein einziger Vater (0%). (Basisstudie 3.2.2.18 Qualität der Unterstützung durch die Jugendhilfe) | Findest sich nur noch allgemein zusammengefasst als Gesamtfaktor in Tab. 9.53 wieder | Durch die Komprimierung der Ergebnisse wird eine notwendige Diskussion darüber, wie der Zugang der Jugendhilfe auch zu Vätern verbessert werden kann, behindert. |
In den 176 Familien, in denen ein familiengerichtliches Verfahren stattfand, wurde dieses von 59,6% der Betroffenen als gar nicht oder kaum positiv erlebt (Tab. 81) (Basisstudie 3.2.2.21) | Ist 2023 nicht mehr ersichtlich. | Durch das Auslassen dieser Ergebnisse wird Raum für dringend notwendige Diskussionen zur Verbesserung familiengerichtlicher Verfahren genommen. |
Mehr Väter als Mütter erlebten das Umgangsverfahren „sehr“ oder „ziemlich“ positiv (Tab. 82). (Basisstudie 3.2.2.21) | Ist 2023 nicht mehr ersichtlich. | Durch das Auslassen dieser Ergebnisse wird Raum für dringend notwendige Diskussionen zur Verbesserung familiengerichtlicher Verfahren genommen. |
Dort, wo Umgänge von einem Familiengericht festgelegt wurden, resultiert zudem häufig das Wechselmodell als Ergebnis des familiengerichtlichen Verfahrens. (Basisstudie 3.3) | Ist 2023 nicht mehr ersichtlich. Eine Differenzierung nach Betreuungsmodell findet im Abschnitt 9.3.1 nicht mehr statt. | Die Feststellungen aus 2019 würden politischen Sprengstoff bieten. Warum gelingt es vor Gericht, den Kindern mehr gemeinsame Zeit mit beiden Eltern zu ermöglichen als bei Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe? Dies korreliert mit den vorher aufgezeigten Punkten des Zugangs von Kinder- und Jugendhilfe zu Müttern und Vätern. Auch hier würde der Druck zur Veränderung vorwiegend auf dem BMFSFJ liegen, welcher durch die veränderte, „walperisierte“ Darstellung genommen wurde. |
Die Kinder treffen sich mit 2,3mal mit dem getrenntlebenden Vater und 5,2 mal mit der getrenntlebenden Mutter. Das Kind übernachtet im Schnitt 6mal bei der Mutter und 2mal beim Vater. Monatlich beträgt die Anzahl der Wechsel zwischen den Haushalten bei getrenntlebender Mutter 2mal, bei getrenntlebendem Vater 1mal. Die Aufenthalte bei der Mutter liegen im Durchschnitt bei 1,5, beim Vater 0,8 Tagen. (Basisstudie 3.2.1.6 Umgang und Umgangsmodalitäten) | Unter 4.2 werden umfangreiche Informationen geliefert. Die 2019 vorgenommene der durchschnittlichen Kontaktlänge und Wechselhäufigkeit ist aber nicht mehr ablesbar. | Die 2019er-Aussagen geben einen klaren Hinweis, dass Kinder, die überwiegend bei ihren Vätern leben, mehr (doppelt so viel) Kontakt zu ihren Müttern haben als umgekehrt. Diese Feststellungen würden das gesamte, bisherigen System, in dem die Kinder nach einer Trennung weit überwiegend bei Müttern aufwachsen, infrage stellen. Nicht nur, dass die Forderung nach der Förderung gemeinsamer Betreuung lauter werden würde. Es wäre auch eine wissenschaftliche Grundlage, von der aus man im Ausgangspunkt der Betrachtung den Lebensmittelpunkt der Kinder beim Vater sehen könnte. All dies wären Vorstellungen, die im BMFSFJ nicht nur unerwünscht, sondern Anlass zu höchster Panik wären. |
Bislang zeigt die Erfahrung, dass die Akzeptanz für ein Wechselmodell aufseiten gekränkter Elternteile gering ist. Wie unsere Studie zeigt, werden vor allem gerichtlich angeordnete Wechselmodelle in der Realität häufig beispielsweise durch Umgangsverstöße unterlaufen (vgl. hierzu auch Gottschalk & Heilmann, 2017). (Basisstudie 3.2.3.4 Strittige vs. einvernehmliche Umgangsregelung, Tab. 124, Abb. 74) | Wurde zumindest in Teilen in der Regressionsanalyse auf S. 153 dargestellt, ohne jedoch auf die 2019er-Quellen Bezug zu nehmen oder so klar in der Aussage zu sein. | 2019 sagten die Wissenschaftler, dass Wechselmodelle vor allem aufgrund emotionaler Faktoren der Eltern scheitern und nicht aufgrund des Wohlbefindens der Kinder. Der sowohl von Aktivist:Innen als auch politischen Akteuren immer wieder vorgehaltenen Argumentation, dass ein strittiges Wechselmodell schlecht für die Kinder wäre, ist damit die Basis entzogen, da erkennbar wird, dass es nicht das Betreuungsmodell, sondern vor allem das Verhalten von Eltern ist, welches Kinder belastet – und vor dem Kinder im Zweifelsfall geschützt werden müssten. |
Bei 27,8% der Mütter und 15,9% der Väter hat nicht näher spezifizierte häusliche Gewalt eine Rolle im Trennungsgeschehen gespielt (Abb. 22). Dabei wurde überwiegend von Schlagen und Bedrohen berichtet. (Basisstudie 3.2.2.3 Häusliche Gewalt) | Insgesamt geben 26,2 Prozent der antwortenden Eltern an, Gewalt habe für die Trennung eine Rolle gespielt. Ganz überwiegend handelte es sich hierbei um Partnerschaftsgewalt (72,7%). In 7,3 Prozent der Fälle, in denen Gewalt bei der Trennung eine Rolle spielte, richtete sich die Gewalt ausschließlich gegen ein oder mehrere Kinder in der Familie und in 20 Prozent gegen Eltern und Kinder. Die Auskunft gebenden Eltern bejahten mehrheitlich eine infolge der Gewalt bestehende Kindeswohlgefährdung (59,7 Prozent). (7.3.1 S. 107) | Eine Differenzierung nach auskunft gebenden Elternteil fand leider 2023 nicht mehr statt. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede hätten einen Hinweis darauf geben können, ob eine unterschiedliche Wahrnehmung von Handlungen als Gewalt oder nicht vorliegt. Aufgrund der Überrepräsentanz von Müttern in der Studie verfälschen zudem kumulierte Zahlen die Häufigkeit. Zu beachten ist in beiden Fällen, dass es sich nicht um repräsentative Zahlen handelt, wie teils in der öffentlichen Diskussion bereits versucht wird, darzustellen, sondern konfliktreiche Trennungen in der Studie deutlich überrepräsentiert sind. |
Auch durch einen Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten ist das Themenfeld „Häusliche Gewalt“ bei den juristischen Professionen häufig von Unsicherheit begleitet. So sehr Neutralität bei Richterinnen und Richtern im familiengerichtlichen Verfahren generell wünschenswert ist. Bei nachgewiesenem Vorliegen häuslicher Gewalt wünschen sich die interviewten Betroffenen eine Positionierung, und damit verbunden einen wirksamen Opferschutz. (Basisstudie, Empfehlungen V) | Kritik am bestehenden Justiz- und Jugendhilfesystem findet sich 2023 nicht. | Erneut werden wichtige Ansatzpunkte zur qualitativen Verbesserung des Rechts- und Unterstützungssystems gestrichen. Angesichts der seit Jahrzehnten bekannten, desolaten Lage politisch sicherlich erwünscht, aus der Sicht der davon betroffenen Familien und insbesondere derer Kinder katastrophal. |
Bei Kindern, deren Verhältnis zum Vater keine positive Prägung aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeiten um das 2,3-fache erhöht. (Basisstudie 3.3) | Findet sich in veränderter Darstellung aber mit gleicher Aussage auf S. 99 / 100 unter 6.3.2 wieder. | |
Das Verhältnis der Kinder zum Vater ist im Wechselmodell durchgehend besser als im Residenzmodell. Das Verhältnis zur Mutter wird unabhängig vom Betreuungsmodell als gut angegeben. (Basisstudie 3.2.1.3) | S. 91 Die Kinder beschreiben sowohl ihre Beziehung zur Mutter als auch zum Vater bei geteilter Betreuung gleich gut wie Kinder, die bei der Mutter leben und häufigen Kontakt zum Vater haben.“ | Die Feststellungen unterscheiden sich in ihrer Ausage schon deutlich. 2019 erkannte Vorteile des Wechselmodells existieren 2023 nicht mehr, was politisch sicherlich erwünscht ist. Hier werden wohl unabhängige Wissenschaftler die Aussagen anhand der Daten neutral einordnen müssen. |
Gefragt nach der Zufriedenheit mit der Kontakthäufigkeit zum anderen Elternteil, geben 257 Kinder (60,5%) an, eher nicht zufrieden zu sein (gar nicht, kaum, einigermaßen). 156 Kinder (39,5%) sind dagegen ziemlich oder sehr zufrieden mit der Häufigkeit, mit der sie Kontakt zum anderen Elternteil haben (Tab. 14). (Basisstudie 3.2.1.6) | Ist 2023 nicht mehr erkennbar. | Deutschland ist das Land des Residenzmodells. Wenn dann die Mehrzahl der Kinder mit der Kontakthäufigkeit unzufrieden ist, lässt das im Zusammenhang mit den weiteren Erkenntnissen die Vermutung zu, dass ein „mehr“ an gemeinsamer Betreuung die Zufriedenheit der Kinder steigert. Das BMFSFJ verhindert jedoch seit Jahren entsprechende Betrebungen. Das Verschwinden solcher Feststellungen dürfte daher politisch erwünscht sein. |
Die meisten Kinder (59,7%) haben sich während der Befragung „mittelmäßig“ bis „schlecht“ gefühlt (Tab. 27). (Basisstudie 3.2.3.17) | Ist 2023 nicht mehr erkennbar. | Notwendige Diskussionen zur Partizipation oder auch Verweigerung der Mitwirkung von Kindern, die sich selbst schützen wollen, werden so leider unterdrückt. Kindeswohlorientierte Verbesserungen von Gerichtsverfahren werden so be- oder verhindert. |
Erwartungskonform zeigt sich, dass Kinder größtenteils mit der Umgangsvereinbarung zufrieden sind, wenn ihre Bedürfnisse von den Eltern berücksichtigt worden sind. Überraschend mutet dagegen zunächst an, dass ein noch größerer Teil der Kinder mit der Umgangsvereinbarung zufrieden ist, wenn keine Einbindung der kindlichen Bedürfnisse stattgefunden hat. Dies kann dadurch bedingt sein, dass viele Kinder aus Loyalitätsgründen entweder die Präferenzen einzelner Elternteile übernommen haben, oder ihre Bedürfnisse gar nicht explizit geäußert haben. In den Befragungen zeigte sich häufig, dass Kinder an Umgangsfragen nicht beteiligt werden wollten, weil sie das Gefühl hatten, sich für oder gegen Elternteile entscheiden zu müssen. Die Nichtbeteiligung an Umgangsfragen ist im Vergleich zum drohenden Loyalitätskonflikt (ich enttäusche einen Elternteil; ich möchte nicht entscheiden müssen) für viele der betroffenen Kinder offenbar das kleinere Übel. (Basisstudie 3.2.3.5) | Die Feststellungen der Kinder finden sich 2023 nicht mehr wieder. Es gab nur folgende Empfehlung: „Sofern möglich sollten Kinder in ihren Wünschen und Bedürfnissen hinsichtlich des Betreuungssettings nach Trennung der Eltern gehört und berücksichtigt werden sollten. Das Familienrecht, die UN-Kinderrechtekonvention, das SGB VIII und weitere Sozialisations- und Rechtsräume von Kindern sehen die Partizipation von Kindern ohnehin vor. Ein besonderes Erfordernis besteht darin, den kindlichen Willen behutsam zu ermitteln, um Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt (Entscheidung zwischen Mutter und Vater) zu tragen. Dies gilt insbesondere dort, wo Eltern divergierende Vorstellungen vom künftigen Betreuungsarrangement aufweisen und die Einbindung von Jugendamt und Familiengericht notwendig wird“. (S. 163) | Die Aussagen unterscheiden sich insoweit, als dass 2019 auf das Wohlergehen und die Befindlichkeiten von Kindern abgestellt wurde, 2023 dafür Vorschläge für das verfahrensrechtliche Vorgehen gegeben wurden. Was sich Kinder wünschen oder sie zu ihrem eigenen Schutz brauchen, bleibt 2023 leider unsichtbar. Denn diese würden den Schluss „je strittiger der Konflikt, desto weniger sollten Kinder einbezogen werden“ aufdrängen und damit unser gesamtes, familien- und jugendhilferechtliches System auf den Kopf stellen, welches Kinder umso intensiver einbindet (und zu Entscheidern macht), je höher die Eskalation zwischen den Eltern ist. Die dringend notwendige Dislussion darüber, welche 2019 klar erkennbar war, geht 2023 leider weitgehend unter. |
In den Fällen, in denen Unterhaltsverpflichtung beim anderen Elternteil besteht (n=380), kommt dieser nach Angaben des befragten Elternteils in 56,8% der Fälle seinen Unterhaltsverpflichtungen nach, entsprechend 43,2% nicht. Differenziert nach Müttern und Vätern bejahen 56,3% der Mütter und 59,2% der Väter eine eingehaltene Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils. (Basisstudie 3.2.2.5) | Ist 2023 nicht mehr erkennbar. | Politisch sind solche Fakten unerwünscht, wird doch dadurch das geprägte Bild von Müttern und Vätern in Bezug auf Unterhaltszahlungen infrage gestellt. |
79,7% der Mütter und 47,7% Väter geben an, dass sie die Kosten für das Kind allein tragen. (Basisstudie 3.2.2.5) | Ist 2023 nicht mehr erkennbar. | Die 2019er-Feststellung hätte zu einer Diskussion beitragen können, dass auch Unterhalt zur Kostentragung des Kindes beiträgt und es hier eine doch massiv abweichende Wahrnehmung von Müttern und Vätern zur Kostentragung gibt. Politisch ist eine solche Diskussion sicherlich unerwünscht, aus Sicht der Kinder und auch der Stärkung der Wahrnehmung des unterhaltspflichtigen Elternteils in der Familie wäre es wichtig gewesen. |
Zusammengenommen berichten rund 20 % aller Mütter davon, dass sich die finanzielle Situation durch die Trennung/Scheidung verbessert habe. Dies ist bei Vätern ähnlich. Unterschiede zeigen sich dagegen in der Schlechterstellung der finanziellen Situation zwischen den Elternteilen. Während rund 55 % der Mütter Verschlechterungen berichten, trifft dies auf 65 % der Väter zu. (Basisstudie 3.2.2.5, Tab. 51) | Dazu finden sich 2023 keinerlei Ausführungen mehr. Die Frage 39 des Elternfragebogens wird nicht mehr zur Auswertung herangezogen. | „Mütter profitieren finanziell von einer Trennung, mehr Väter werden deutlich schlechter gestellt“. Eine solche Aussage hätte enorme Sprengkraft und würde das gesamte System der Förderung Alleinerziehender (Mütter) sowie die Wahrnehmung von Unterhaltszahlenden (Väter) aus den Angeln heben. Aus Sicht der Kinder wäre dies zu begrüßen, damit diese in beiden Haushalten angemessen versorgt sind. Für das BMFSFJ als Auftraggeber der Studie aber war die 2019er-Feststellung sicherlich alarmierend und musste verschwinden – Mission 2023 erfüllt. |
Vielfach fallen geplante Treffen mit dem anderen Elternteil auch aus (Tab. 17). Häufig hat dies terminliche/berufliche Gründe („Weil Papa arbeiten muss.“, „Weil Mama nicht kann.“). Bei den 6- bis 12-Jährigen fallen Tage mit dem anderen Elternteil in 26,4% der Fälle sehr oft aus (6,2% oftmals, 24,6% manchmal, 14,8% selten, 28,0% nie). In der Gruppe der 13- bis 18-Jährigen fallen in 27,4% der Fälle Tage mit dem anderen Elternteil sehr oft aus (7,2% oftmals, 26,3% manchmal, 15,7% selten, 23,4% nie). (Basisstudie 3.2.1.9) | Ist 2023 nicht mehr erkennbar. | Es wäre ein wichtiger Punkt gewesen, vertiefend die Gründe für den Ausfall zu ermitteln, um zum einem den Kindern eine Verlässlichkeit im Kontakt mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen, zum anderen aber auch den hauptbetreuenden Elternteile mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit zu ermöglichen. Bedauerlich, dass dieser Diskussionsansatz 2023 entfallen ist. Er hätte auch aufzeigen können, wie zuverlässig hauptbetreuende Elternteile den Kontakt zum anderen Elternteil gewährleisten, auch wenn dies im BMFSFJ vermutlich nicht auf der Prioritätenliste steht. |
Eine außergerichtliche Einigung wurde meist durch die Initiative beider Elternteile realisiert (47,4%). In 28% der Fälle wurde dies vom befragten Elternteil allein angestoßen (Tab. 63). 27% der Mütter und 32,2% der Väter setzten sich für die Regelung ein. (Basisstudie 3.2.2.10) | 2023 ist nicht mehr erkennbar, von welchem Elternteil die Initiative für eine außergerichtliche Einigung ausging. |
Fazit
Die Änderungen in den Studienaussagen sind erheblich. Auffällig ist, dass viele relevante und politisch unbequeme Aussagen, die 2019 getroffen wurden, gar nicht mehr aufgeführt sind. Oder sie wurden durch eine veränderte Darstellung unsichtbar gemacht.
Wer noch die Hoffnung hatte, dass der Verdacht politisch motivierter „Modifikation“ von Studienergebnissen noch ausgeräumt werden könnte, muss enttäuscht werden. Und es bestätigt sich mal wieder die alte Weisheit „traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“. Was wir sehen, ist eine unbestritten höhere fachliche Qualität, z.B. durch Regressionsanalysen. Unzulässig aber wird es, wenn durch die Kombination verschiedener Merkmale Aussagen einfach „verschwinden“. 2023 erfolgte an vielen Stellen eine vertiefende Differenzierung nach Mutter und Vater. Verzichteten haben die Überarbeiter der Ergebnisse darauf an genau den Stellen, an denen es politisch brisante Studienaussagen gab. Dies spricht deutlich für politisch „wunschgemäße“ Ergebnisse. Dies ist jedoch nicht Aufgabe der Wissenschaft und nicht das, wofür die Studie erstellt und die Wissenschaftler bezahlt wurden.
Obwohl die Studie lange erwartet wurde, hat das Bundesfamilienministerium bisher noch keine offizielle Bekanntgabe der Studienergebnisse vorgenommen. Eine wohl geplante Bekanntmachung wurden wohl auch durch die Veröffentlichung auf dieser Seite abgesagt. Eine ungetrübte Promotion der politisch angepassten Ergebnisse war so nicht mehr möglich. Seitdem hüllt man sich im Ministerium in Schweigen.
Die obige Auflistung stellt weiterhin nur einen Teilbereich der gesamten Studienaussagen dar. Weitere Analysen können noch folgen.