Wie Wissenschaft zu Kindeswohl und Umgangsrecht in Deutschland selbst durch Ministerien manipuliert wird

Das IFG-Verfahren

Dass die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich sind, ist der Beharrlichkeit des Potsdamer Vaters und Rechtsanwaltes Ingo Stöckl zu verdanken. Er investierte viel Zeit, Geld und Nerven in ein IFG-Verfahren (Informationsfreiheitsgesetz), um vom Staat das zu erhalten, worauf er einen gesetzlichen Anspruch hat.

Ein IFG-Verfahren sollte anspruchslos sein - soweit die Theorie.
Grundsatz des Informationsfreiheitsgesetz, Entnommen am 24.08.2023 auf der Seite des für das IFG verantwortlichen Bundesinnenministeriums unter dem Bereich „Open Goverment“ (Link)

Eigentlich wäre es für jeden Bürger ein leichtes, an solche Informationen zu kommen. Genau zu diesem Zweck wurde das Informationsfreiheitsgesetz geschaffen, um dem Bürger Informationen transparent zugänglich zu machen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wenn z.B. die Nationale Sicherheit o.ä. gefährdet sind. Auch soweit und solange durch die vorzeitige Bekanntgabe der Informationen der Erfolg der Entscheidung oder bevorstehender behördlicher Maßnahmen vereitelt würde, soll ein beantragter Informationszugang zu Entscheidungsentwürfen sowie Arbeiten und Beschlüssen zur unmittelbaren Vorbereitung von Entscheidungen oder behördlichen Maßnahmen abgelehnt werden. Hamburg beispielsweise veröffentlicht solche Dokumente ganz automatisch auf einer Plattform. Was die Diener des Staates an Informationen haben, soll denen, die es bezahlt haben, ebenso zugänglich sein. Außerhalb von Hamburg stellt man eine schriftliche Anfrage und soll dann Auskunft erhalten. Soweit zumindest die Theorie.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) interessiert sich aber offensichtlich nicht für Gesetze, die Bürgern Rechte einräumen. In einer Demokratie mehr als bedenklich. Es hat jedes mögliche und unmögliche Mittel genutzt, um dem Bürger seinen gesetzlichen Anspruch zu verwehren.

Der Ablauf des IFG-Verfahren

Am 23.06.2019 wurde der Antrag auf Herausgabe der dem BMFSFJ vorliegenden Studienfassungen gestellt – und abgelehnt. Es gab einen Widerspruch, der ebenfalls abgelehnt wurde. Es lägen nur Entwurfsteile vor, wurde am 21.10.2019 mitgeteilt. Am 24.11.2019 wurde dann Klage beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Es wurde beantragt:

„Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 10-7.2019 (Az: Z26-0760/149*58) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10. 2019 (zum gleichen Az.) verpflichtet, dem Kläger Informationszugang zur Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ (PETRA-Studie), soweit sie ihr – ggf. auch nur in Teilen oder Vorabfassungen vorliegt, zu gewähren.“

Auszug aus dem Klageschriftsatz vom 24.11.2019

Erster gerichtlicher Abwehrversuch des BMFSFJ

Die vom BMFSFJ beauftragte Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs erwiderte am 31.01.2020 nach der üblichen Verlängerung der Klagefrist. Man erfuhr, dass sich die Abgabe der Studie mehrfach verzögert habe. Es lägen Entwurfsteile aus April und Mai 2019 vor. Nach Rückäußerung des BMFSFJ sei im November 2019 eine Überarbeitung vorgelegt worden, welche aber weiterhin der Überarbeitung bedürfe und wichtige Teile würden noch gar nicht vorliegen.

Bereits hier muss man die Frage stellen, weshalb ein Ministerium die Überarbeitung einer wissenschaftlichen Studie fordert. Und nach der Übersendung der Unterlagen ist klar: es lagen zu diesem Zeitpunkt bereits sämtliche Studienteile vor.

Die Klage selbst hielt man im BMFSFJ für unbegründet, da keine fertige Studie vorliegen würde. Entwurfsfassungen seien keine amtlichen Dokumente. Es wäre für das Ministerium nach dieser Auffassung ein leichtes, jegiche Herausgabe zu verhindern, indem es für ungenehme Studien einfach die Abnahmeentscheidung verweigert.

  • „Ferner steht der Ablehnungsgrund der Vertraulichkeit der behördlichen Beratungen gem. § 3 Nr. 3 lit. b IFG (siehe unter e)), der Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses gem. § 4 IFG (siehe unter d)) und der Schutz des geistigen Eigentums gem. § 6 Satz 1 [FG (siehe unter e}} entgegen.“, wie man dem Schriftsatz entnehmen konnte.

Kurz gesprochen, wenn jemand die Studien kennen würde, könnte das Ministerium keine Entscheidung mehr treffen. Macht wenig Sinn, oder? Und dem Schutz des geistigen Eigentums stehe der Werkvertrag entgegen, in dem sich das Ministerium alle Rechte hat übertragen lassen. Wäre auch widersinnig, wenn eine Studie im Auftrag erstellt wird und der Auftraggeber diese dann nicht verwenden dürfte.

Auch würden die Studienverfasser selbst noch eine weitere Bearbeitung für erforderlich halten.

„Die vorläufigen Fassungen der Studie erfüllen den Begriff des Entwurfs. Sie stellen vorläufige Gedankenskizzen dar, die nach der Vorstellung des Verfassers noch weiterer Bearbeitung bedürfen und deshalb noch nicht als endgültige Entscheidung verstanden werden können.“

In den Medien haben die Studienautoren Anfang 2021 sehr deutlich hervorgehoben, dass sie davon ausgegangen sind, eine vollständige Studie abgeliefert zu haben (siehe Chronik). Zuvor wurde ja bereits ausgeführt, dass das Ministerium Nachbesserungswünsche hatte. Den Widerspruch wollte man bei allen Ausreden aber scheinbar nicht sehen.

In den Ministeriumsakten gibt es gar keine Studienfassungen

Es wird aber noch kurioser, vor allem, wenn man sich mit behördlichen Vorgängen auskennt.

„Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte die vorläufigen Fassungen der Studienteile auch nicht zu dem Vorgang genommen. Die Fassungen sind im Laufe des ungewöhnlichen und noch nicht abgeschlossenen Erstellungsprozesses weder in Papierform veraktet worden noch sind sie als elektronische Dateien auf dem Server so abgespeichert, dass sie einer speziellen Akte zugeordnet werden können.“

Es war zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal eine ordnungsgemäße Aktenführung dieser millionenteuren, vom Steuerzahler finanzierten, Studie erfolgt. Später erfährt man noch, dass diese wohl nur auf dem persönlichen Laufwerk einer Mitarbeiterin gespeichert sei. Ein eklatanter Verstoß gegen geltende behördliche Aktenführungsvorschriften und Gesetze. Ein Zeichen dafür, dass man nicht einmal innerhalb des Ministeriums Zugang zu den Ergebnissen gewähren wollte. Kindeswohl – Top Secret!

Die Manipulationen des BMFSFJ dürfen nicht an die Öffentlichkeit geraten

Dazu passt auch die bemerkenswerte Sorge, dass Manipulationen des Ministeriums an die Öffentlichkeit geraten könnten und dies öffentlich nicht positiv aufgenommen werden könnte.

„Würden die vorläufigen Fassungen der Studie. die vom BMFSFJ nicht autorisiert sind, an die Öffentlichkeit gelangen, bevor das BMFSFJ die Endfassung der Studie abgenommen hat, könnte dies in der Öffentlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rechtfertigungsdruck des BMFSFJ führen.“

Die Sorge ist in der Tat nicht unbegründet. Denn die Öffentlichkeit hat eine wissenschaftliche Studie, von Wissenschaftlern erstellt, erwartet und bezahlt. Umdeutungen durch ein Ministerium sind auch unter Bezug auf die in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Freiheit der Wissenschaft inakzeptabel – zumindest außerhalb des BMFSFJ.

Der Bürger soll nur erfahren, was das BMFSFJ für richtig hält, nicht die Wissenschaft

Das Ministerium lässt auch noch einmal eindeutig klarstellen, dass es nicht beabsichtigt, irgendjemandem die unbeeinflussten Studienversionen zugänglich zu machen, sondern ausschließlich die von ihnen beeinflusste Version.

„Insbesondere soll mit der Übertragung des ausschließlichen Nutzungsrechts die in § 8 (3) des Werkvertrags explizit benannte Öffentlichkeitsarbeit des BMFSFJ ermöglicht werden. Dies gilt für die vorläufigen Fassungen der Studie nicht. Insbesondere ist von Seiten des BMFSFJ nicht beabsichtigt, mit den vorläufigen Fassungen an die Öffentlichkeit zu gehen und diese zu diskutieren.“

Der Kläger nahm zu den Einwendungen des BMFSFJ ausführlich Stellung und wies auf Widersprüchlichkeiten im Vortrag des BMFSFJ hin (Replik vom 27.02.2020).

Wissenschaft muss erst noch durch das BMFSFJ angepasst werden

Das Ministerium hielt an seiner ablehnenden Haltung fest. Über seine Anwälte legte es den teilgeschwärzten Werkvertrag (vgl. Vertrag vom 25.11.2015) vor und ließ in seiner Duplik vom 30.4.2020 u.a. anführen, dass es die Veröffentlichung vorläufiger Fassungen der Studie nicht verantworten könne.

„Das BMFSFJ kann als Herausgeber die Veröffentlichung vorläufiger Fassungen nicht verantworten – es geht hier um ein grundsätzlich hochemotionales Thema, das die Mitte der Gesellschaft betrifft. Die ersten Entwurfsteile bzw. vorläufigen Fassungen bedürfen noch grundlegender Überarbeitung, Auswertung, Systematisierung und Analyse, bevor sie vertretbar zum Gegenstand der bereits jetzt hochemotional geführten Debatte gemacht werden können.“

Auch hier wieder, wissenschaftliche Erkenntnisse darf der Bürger, der für diese bezahlt hat, erst zur Kenntnis kriegen, wenn sie durch den Filter des Ministeriums gegangen sind. Nicht die Wissenschaft, sondern das Ministerium teilt dem unmündigen Bürger mit, was richtig ist und geglaubt werden darf. In einer Demokratie sind dies beängstigende Zustände

„Eine Vorveröffentlichung vor Abschluss der Studie in der jetzigen Phase würde zu Lasten aller Beteiligten gehen. Die Grundlage für einen nicht interessengeleiteten Diskurs und die Entwicklung nicht interessengeleiteter Empfehlungen würde zu Nichte gemacht werden. … Bei einem so hochemotionalen gesamtgesellschaftlichen Thema hat das BMFSFJ die Pflicht Sorge zu tragen, dass eine öffentliche Diskussion auf einer substantiierten und belastbaren Erkenntnisgrundlage geführt wird und nicht auf einer Materialsammlung/nicht ausgewerteten Vorfassungen, die Verschwörungstheorien nähren und interessengeleitetem Missbrauch offenstehen.“

Oder übersetzt: Ein Diskurs darf nur auf Basis der Interessen des Ministeriums erfolgen, nicht auf Basis der Wissenschaft. Interessengeleiteten Missbrauch dürfen nur sie selbst betreiben.

Haben die Wissenschaftler tatsächlich eine Studie abgeliefert?

Um seinem Standpunkt mehr Glaubwürdigkeit zu vermitteln, wurde versucht zu begründen, weshalb man die vorliegenden Unterlagen noch nicht für eine herausgabefähige Studie halte:

„Mindestinhalt einer finalen Fassung bzw. eines finalen Entwurfs, der mit der Intention geliefert würde, die geschuldete Leistung zu erfüllen, wäre ein Forschungsbericht, der objektiven wissenschaftlichen Mindeststandards entspricht und so – unabhängig von Inhalt und Aussage seiner Ergebnisse und Schlussfolgerungen – objektiv auch die Mindestvoraussetzungen erfüllt, um zu einer Versachlichung der Diskussion auf wissenschaftlich fundierter Basis beitragen zu können. Hierzu gehört insbesondere eine transparente Darlegung des methodischen Forschungsdesigns und dessen Ausrichtung auf formulierte forschungsleitende Fragestellungen. Auch muss methodisch die Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse offengelegt und die Herleitung der Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen ausgeführt werden.

Die bislang vorliegenden Entwurfsteile und vorläufigen Fassungen erfüllen diese Voraussetzungen noch nicht und können daher bei objektiver Betrachtung nicht als Forschungsbericht bewertet werden. Bisher wurde lediglich eine Zusammenstellung von Unterlagen in zwei Aktenordnern vorgelegt sowie eine Sammlung von Zip-Dateien übermittelt. Das ganze erfolgte ohne Inhaltsverzeichnis; es existiert vielmehr lediglich eine Gliederung ohne Seitenzahlen. Das von der Bietergemeinschaft vorgelegte Kapitel 3, die Basisstudie, die den Kern der Studie darstellt, besteht noch ganz überwiegend aus einer bloßen Deskription der Ergebnisse. Statistische Analysen liegen bisher lediglich zu ausgewählten Einzelaspekten vor. Eine umfassende Analyse und Gesamtauswertung der Daten sind nicht vorgenommen worden, sie stehen noch aus. Die vorgelegten Unterlagen entsprechen in der gegenwärtigen Phase noch keinen wissenschaftlichen und fachlichen Standards.“

Die im Zuge des IFG-Verfahrens herausgegebenen Unterlagen entlarven diese Darstellung als unwahr. Seit dem 02.05.2019 lag eine vollständige Studie inkl. sämtlicher Unterlagen, Seitenzahlen und Gliederung vor. Gegenüber dem Gericht blieb es bei dieser unwahren Darstellung, ohne dass Belege beigebracht wurden.

Das BMFSFJ vernichtet, was später Manipulationen nachweisen könnte

Damit diese falschen Darstellungen niemals ans Tageslicht kommen würden, plante das Ministerium die Vernichtung sämtlicher Entwürfe nach Vorlage der ihnen genehmen Fassung:

„Unrichtig ist auch die Behauptung des Klägers, die Entwurfsfassungen müssten bei ordnungsgemäßer Aktenführung veraktet werden (S. 3 des Schriftsatzes vom 27.02.2020). Entsprechend der Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien werden vorläufige Fassungen nicht veraktet. Vorüberlegungen unterliegen keiner Veraktungsobliegenheit. Vielmehr wird die Bietergemeinschaft die Aktenordner nach Fertigstellung zurückerhalten oder die Fassungen/Entwurfsteile werden vernichtet. Die ZIP-Dateien sind lediglich auf dem persönlichen Laufwerk der zuständigen Sachbearbeitenden – nur für diese zugänglich zwischengespeichert und werden nach Erstellung einer finalen Fassung gelöscht.“

Mit diesem Punkt dürften sich später noch Presse, Verwaltungsrechtler und auch der Bundestag zu beschäftigen haben. Es gibt aus gutem Grund Vorschriften, was, wann, wie veraktet und festgehalten werden muss, um Entwicklungsprozesse auch später noch nachvollziehen zu können. Denken wir nur mal an das Mautdebakel und die Ausflüchte von Ex-Verkehrsminister Scheuer.

Das Familienministerium wollte solch unangenehmen Fragen scheinbar von vornherein entgehen, nachdem es schon früh Manipulationsvorwürfe gab. Wenn nichts in den Akten ist, kann ihnen auch nichts nachgewiesen werden, so scheint der Mindset gewesen zu sein. Und scheinbar hatten auch nur einzelne Personen im Ministerium überhaupt Kenntnis von den Vorgängen und Zugriff auf die Informationen. Ein absolut unhaltbarer Zustand.

Der angekündigten Vernichtung oder einem „zufälligen“ Untergang der Studienfassungen wollte auch der Kläger vorbeugen. Er beantragte deshalb den Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die eine Sicherstellung der Unterlagen erfolgen sollte (vgl. einstweiliger Rechtsschutzantrag vom 11.08.2020).

Was soll wann vorgelegen haben

Am 25.08.2020 gaben die Anwälte des BMFSFJ dann folgende Auskunft:

„Sämtliche o.g. Entwurfsdokumente befinden sich derzeit im Besitz des Ministeriums. Das Ministerium beabsichtigt, die Unterlagen zu vernichten, sobald die Endfassung des Gutachtens abgenommen worden ist und eine Veröffentlichung erfolgt ist, d.h. nach Abschluss der Studie. Die ZIP-Dateien wären bereits gelöscht worden. Vor dem Hintergrund des Klageverfahrens VG 2 K 281.19 sind sie aber noch auf dem persönlichen Laufwerk einer Mitarbeiterin vorhanden. Die Printversion vom 13. November 2019 wird nach Abschluss dem Auftragnehmer zum Verbleib übergeben. Eine Veraktung beim BMFSFJ ist nicht beabsichtigt. Die Antragsgegnerin sagt dem Gericht verbindlich zu, solange auf eine Löschung zu verzichten, wie in dem parallelen Klageverfahren VG 2 K 281.19 keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung getroffen worden ist. Je nach Inhalt der Entscheidung werden die Dokumente dann an den Antragsteller herausgegeben oder gelöscht.“

Der Umfang der vorliegenden Unterlagen ist, wie wir heute wissen, gegenüber dem Verwaltungsgericht falsch dargestellt worden, wie auf der Seite Studienversionen und Unterschiede nachzulesen ist. Bemerkenswert ist, dass das Ministerium behauptet, die Teilstudie „Häusliche Gewalt“ hätte noch nicht vorgelegen, obwohl diese bereits mit den ersten Informationen am 02.04.2019 vorgelegt wurde. Angesichts der einseitigen Fokussierung des BMFSFJ auf das Thema Gewalt nach dem Schema „Mann = Täter, Frau = Opfer“ kommt hier das ungute Gefühl auf, dass dem Ministerium die Ergebnisse nicht ins politische Konzept gepasst haben.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag einer vorläufigen Sicherstellung der Studienergebnisse am 10.09.2020 ab, da das Ministerium verbindlich zugesagt hatte, eine Vernichtung bis zum Ablauf des Verfahrens nicht vorzunehmen. Die Zusicherung des Ministeriums sei ausreichend, ein Verweis auf Datenlöschungen in anderen Bundesministerien (hier des Mautdebakels) sei nicht ausreichend.

Die gerichtliche Anhörung

Am 09.08.2021 kam es dann zur mündlichen Anhörung. Seitens des Ministeriums wurden umfangreiche Kritik an den Studienfassungen geübt, eine ordnungsgemäße Aktenführung aber sei immer noch nicht durchgeführt. Auf richterliche Nachfrage, wie bei einer etwaigen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus dem Werkvertrag vorgegangen würde, erklärte das Ministerium, dass die Unterlagen ja da seinen. Es könne auch nachträglich dokumentiert werden.  Zur strittigen Frage, ob die Verfasser der Studie mit der Übergabe der Fassungen ihre Vertragspflicht erfüllen wollten oder aber selbst angenommen hätten, dass es sich lediglich um Entwürfe handele, die auch nach deren Auffassung zu überarbeiten wären, erklärte die Vertreterin des BMFSFJ, abweichend vom vorausgegangenen schriftsätzlichen Vortrag: „Ich denke, dass PETRA schon dachte, dass sie das aus ihrer Sicht erforderliche getan haben.“

In der Sache wurde aber recht deutlich gemacht, dass die für das BMFSFJ vorgetragenen Gründe nicht haltbar seien. Das Ministerium zeigte aber keinerlei Bereitschaft zur Einsicht.

Die erste Verurteilung des Familienministeriums

Am 09.08.2021 wurde das Bundesfamilienministerium zur Herausgabe der Studienfassungen der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ in den Fassungen vom 02.04.2019, 02.05.2019 und vom 13.11.2019 verpflichtet. Die Entscheidung ist unter dem Aktenzeichen VG Berlin 2 K 281/19 vom 09.08.2021 veröffentlicht worden. Aus den Begründungen ist nachvollziehbar, wie abwegig die Versuche des BMFSFJ waren, den gesetzlichen Informationsanspruch des Klägers zu verhindern.

Der Bundesdatenschutzbeauftragt hilft bei der Verzögerungstaktik des BMFSFJ

Einsicht in die Rechtmäßigkeit des IFG-Verfahrens gab es beim BMFSFJ jedoch nicht. Am 08.09.2021 wurde die Zulassung der Berufung beantragt und diese am 25.10.2021 (man lässt sich Zeit) begründet. Auf 23 Seiten wurden die bereits bekannten Einwendungen wiederholt und versucht darzulegen, dass das Verwaltungsgericht Berlin unzutreffend entschieden hätte.

Außerdem stellte sich das Ministerium erstaunlicher Weise auf den Standpunkt, dass dem Informationszugang nicht nur der Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses entgegenstehe: „Neben der ungestörten Entscheidungsfindung ist es auch Zweck des Gesetzes, eine vollständige und unbefangene behördliche Aktenführung zu gewährleisten, die den Gang des Entscheidungsprozesses chronologisch und vollständig nachvollziehbar dokumentiert.“

Dies ist zwar richtig, nur verzichtete das Ministerium einerseits auf jegliche Erläuterung, weshalb die vollständige und unbefangene behördliche Aktenführung vereitelt oder auch nur erschwert werden könnte, wenn der Informationszugangsanspruch erfüllt wird. Zum anderen stand diese Argumentation in krassem Widerspruch zum bisherigen Vortrag, wonach die Studienfassungen keiner Veraktungsobliegenheit unterliegen würden und die ZIP-Dateien bereits gelöscht worden wären, hätte es das Klageverfahren nicht gegeben.

Ihrem erstinstanzlichen Vortrag ebenfalls diametral widersprechend führte das Ministerium weiter aus, dass „die Übergabe der vorläufigen Fassungen der Studie durch die Bietergemeinschaft
gerade dazu diente, die Abnahme der Werksleistung herbeizuführen und den Werklohn zu erhalten.“

Man könnte über diesen wechselhaften Vortrag müde hinweglächeln und dem BMFSFJ und seinen Anwälten ein gehöriges Maß an Chuzpe und „juristischer Phantasie“ attestieren. Jedoch unterliegen staatliche Institutionen nicht nur auch (wie der Bürger), sondern (aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Bindung an Recht und Gesetz) erst recht der prozessualen Wahrheitspflicht. Derartiges Fehlverhalten einer staatlichen Institution ist daher mehr als ein bloßer Ordnungsverstoß. Er ist geeignet, das Vertrauen in den Staat zu beeinträchtigen, und lässt den Schluss zu, dass das Handeln des BMFSFJ interessengeleitet ist.

Angesichts der bekannt langen Verfahrensdauern am Oberverwaltungsgericht dürfte der vorrangige Grund für die Beantragung der Zulassung der Berufung wohl ein anderer gewesen sein: Zeit gewinnen, den Prozess weiter verzögern.

Der Klägernahm zum Berufungszulassungsantrag und dem widersprüchlichen Vortrag des BMFSFJ ausführlich Stellung (vgl. Antragsentgegnung vom 09.12.2021). Das Ministerium erwiderte mit zum Teil verwirrenden bzw. unwahren Aussagen (vgl. Replik vom 17.02.2022), die den Kläger zu weiterer Stellungnahme veranlassten (vgl. Duplik vom 14.03.2022). Die Sache war danach ausgeschrieben, eine zeitnahe Entscheidung über den Berufungszulassungsantrag vom 08.09.2021 hätte also ergehen können.

Jedoch schaltete sich nun der am Verfahren nicht beteiligte Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) ein (vgl. Schriftsatz vom 16.03.2022), um eine Aussetzung des Verfahrens zu erreichen bis das Verwaltungsgericht Köln über die Klage des BMFSFJ gegen seinen Bescheid vom 17.02.2021 entschieden haben würde. Außerdem führte er aus, dass der Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. Nr. 2 VwGO, den das BMFSFJ neben anderen Zulassungsgründen angeführt hat, seiner Auffassung nach gegeben wäre.

Das BMFSFJ erklärte wenig überraschend, keine Einwände gegen die seitens des BfDI angeregte Aussetzung des Verfahrens zu haben (vgl. Stellungnahme vom 26.04.2022).

Weil die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens fehlten, widersprach der Kläger diesem Ansinnen entschieden (vgl. Stellungnahme vom 01.05.2022).  Zudem bat er erneut um baldmöglichste Entscheidung, statt das Verfahren infolge einer Aussetzung weiter zu verzögern. Dazu führte er neben seinen eigenen und den Interessen großer Teile der Gesellschaft an, dass „auch der Bundestag, wie die zahlreichen parlamentarischen Anfragen dazu – zuletzt vom 16.3.2022 (Plenarprotokoll 20/20, S. 1423, beigefügt als Anlage K 13) – zeigen, „auch vor dem Hintergrund des Herausgabebeschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. August 2021 (VG Berlin, 2 K 281.19)“ in hohem Maße an den in den gegenständlichen Fassungen enthaltenen „Erkenntnissen der Studie, die sehr viel Aufwand verursacht und auch einiges an Geld gekostet hat,“ interessiert [ist], um sie – nötigenfalls „mit einer gewissen Anonymisierung, etwa mit Schwärzungen“ – „jetzt tatsächlich auch für die gesellschaftliche Diskussion verwertbar zu machen.““

Die zweite Verurteilung des BMFSFJ

Auch das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen einer Aussetzung verneint und den Antrag auf Zulassung der Berufung zugleich abgelehnt (vgl. Beschluss vom 12.06.2023), wodurch das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. August 2021 knapp zwei Jahre nach dessen Verkündung rechtskräftig wurde.

Zur sofortigen Herausgabe der Studienfassungen sah sich das BMFSFJ mit fadenscheiniger Begründung auch danach nicht in der Lage (vgl. Nachricht vom 27.06.2023). Sie erfolgte erst, nachdem die Zwangsvollstreckung angedroht worden war (vgl. Vollstreckungsandrohung vom 03.07.2023).Sein ihm gesetzlich zustehender Informationsanspruch wurde nach über vier Jahren durch ein in allen Instanzen unterlegenes Bundesfamilienministerium erfüllt.

Wenngleich das BMFSFJ in allen Instanzen unterlegen ist, hat es sein Ziel der Verzögerung doch erreicht. Ist das vielleicht der Grund, weshalb es seine Klage gegen den Bescheid des BfDI laut einer (auf https://fragdenstaat.de/anfrage/petra-studie-1/ veröffentlichen) IFG-Anfrage vom 28.8.2023 am 10.8.2023 zurückgenommen haben sollte?

Welche Konsequenzen wird es haben?

Die Frage bleibt, was das Bundesfamilienministerium zu seinem Handeln bewogen hat bzw. von welchen Interessen es sich leiten ließ. Es hat mit seinem Verhalten das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Regierung massiv in Mitleidenschaft gezogen. Warum sollten sich Bürger an Recht und Gesetz halten, wenn das BMFSFJ als Teil der Regierung selbst dies nicht tut und es im Falle des BMFSFJ wohl auch über Jahre und wiederholt aus grundsätzlichen Erwägungen so praktiziert?

Was ist die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft und deren Einbindung in Gesetzesvorhaben wert, wenn ein BMFSFJ nur Ergebnisse gelten lassen will, welche seinen eigenen, ideologisch geprägten Vorstellungen entsprechen?

Neben einer rechtlichen wird es auch einer parlamentarischen Aufarbeitung und besserer Kontrollmöglichkeiten der Ministerien durch das Parlament bedürfen. Und im BMFSFJ werden Verantwortliche benannt und aus dem Dienst entfernt werden müssen.


Prinzipielle Informationsverweigerung?

Die Süddeutsche Zeitung titelte am 27.07.2023 „Informationsfreiheitsgesetz – Die im Dunkeln sieht man nicht“ (paywalll).

„Behörden, zu viele jedenfalls, blockieren und unterlaufen, was der Staat
selbst gesetzlich garantiert hat. Ebenso gravierend ist, dass jedenfalls in der Bundesregierung und den Ministerien eine schleichende Veränderung
eingesetzt hat. Immer weniger wird in ordentlichen Vermerken niedergeschrieben, ausgewichen wird auf elektronische Kommunikation, die dann
gelöscht wird.“

Süddeutsche Zeitung vom 27.07.2023

Man erfährt auch, dass die Quote der verlorenen Verfahren deutlich höher ist als in anderen Bereichen. Der normale Bürger muss die Kosten eines verlorenen Verfahrens selbst tragen. Er wird sein Verhalten wohl schon aufgrund dieses Umstandes anpassen. Nicht aber Behörden und Ministerien. Deren Kosten trägt der in letzter Konsequenz der Steuerzahlen. Wir alle zahlen dafür, dass unsere gesetzlichen Rechte durch den Staat ausgehebelt werden sollen. Wenig verwunderlich, dass sich so nichts ändert. Eine persönliche Haftung könnte vielleicht zum Umdenken führen. Eine solche fehlt aber bisher.

Geschlechterquoten? Datenschutz!

Welch absurde Formen die Verweigerung im BMFSFJ annimmt, zeigt eine IFG-Anfrage nach den Geschlechterquoten im BMFSFJ. Eigentlich sollte dies gerade dort eine Selbstverständlichkeit sein, werden doch insbesondere aus der Abteilung Gleichstellung immer wieder Quoten ins Feld geführt.

Aber falsch gedacht. Eine solche Auskunft falle unter den Datenschutz und könne daher nicht erteilt werden. Es wurde Widerspruch eingelegt und zahlreiche Ministerien benannt, welche die Daten transparent zur Verfügung stellen. Darunter auch der Bundesdatenschutzbeauftragte selbst.

Die Reaktion des Bundesfrauenministeriums: selbst auf Erinnerung wurde geschwiegen. Um eine Information zu erhalten, welche nahezu jede andere Behörde automatisch zur Verfügung stellt, hätte es also einer weiteren Klage nach dem IFG bedurft. Im Sinne des Steuerzahlers wurde darauf verzichtet. Das BMFSFJ muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob ein solches Kindergartenverhalten eines Bundesministeriums angemessen ist.

Bis zur vorherigen Regierung wurden die Informationen übrigens auch im BMFSFJ noch öffentlich zur Verfügung gestellt (siehe Organigram des BMFSFJ 2020, manuell um die Geschlechterquoten ergänzt) und zeigten in der Abteilung Gleichstellung z.B. einen Frauenanteil von 83%. Erst unter Führung der Grünen wurden die Informationen dann verweigert.