Die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ ist nicht repräsentativ. Dies ist jedoch kein Mangel, sondern trifft auf zahlreiche wissenschaftliche Studien zu, wenn der Zweck dies erfordert. Die Aussagekraft der Studie wurde durch die für ihren Zweck ausgewählten Teilnehmergruppen erreicht, die in dieser Teilgruppe ein möglichst aussagekräftiges Bild von der Gesamtsituation von Müttern, Vätern und Kindern liefern sollten.
Für die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ sollten Trennungseltern befragt werden. Insbesondere sollten Schlussfolgerungen für den Gesetzgeber abgeleitet werden können, wie dieser das Umgangsrecht reformieren kann. Dies findet aber nur in Fällen Anwendung, in denen sich die Eltern nicht einvernehmlich einigen können und gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Dies ist in der Gesamtbevölkerung nur ein geringer Teil. Man schätzt ca. 15 % – 20 %, die Hilfs- und Unterstützungsangebote, auch der Jugendhilfe, in Anspruch nehmen. Gerichtliche Regelungen sind noch deutlich seltener vertreten. Es ist daher sinnvoll, dass die Gruppe von Trennungseltern, für die man Erkenntnisse gewinnen möchte, überrepräsentiert ist. Dies wurde bei „Kindeswohl und Umgangsrecht“ auch gemacht, was zu begrüßen ist.
Das methodische Vorgehen wurde in der Basisstudie unter 3.1.1 ausführlich erläutert. Wir werden dies hier entsprechend einordnen:
Basisstudie:
- 499 Elternteile, davon 367 Mütter (73,5 %)
- 103 Eltern (20,6 %) weisen Migrationshintergrund auf, was von den Wissenschaftlern als repräsentativ gewertet wird
- 2/3 der Kinder sind männlich
- 28,5 % der befragten Eltern lebten das Wechselmodell
- 48 % hatten eine einvernehmliche, 52 % eine konflikthafte Form der Findung der Umgangsregelung, womit konflikthafte Eltern deutlich überrepräsentiert zu allen Trennungseltern sind
- 34 % der Eltern berichteten von einer gerichtlichen Regelung
- 24,6 % der Befragten der Basisstudie berichteten von häuslicher Gewalt
Sondergruppe Eltern ohne Kind-Kontakt
- 209 Elternteile ohne Kind-Kontakt wurden in eine zweite Gruppe aufgenommen. Sie enthielt 107 Mütter (51,2 %) und 102 Väter (48,8 %) und insgesamt 23 % Elternteile mit Migrationshintergrund
- Anmerkung: bei der Gruppe „Eltern ohne Kindkontakt“ handelte es sich um Eltern, die Umgangskontakt mit ihren Kindern hatten, bei denen die Kinder im Rahmen der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ aber nicht befragt wurden (ohne Kind-Kontakt)
Teilstudie häusliche Gewalt
- Eine Sondergruppe häuslicher Gewalt bezog sich auf 89 Frauen aus Frauenhäusern, davon 39 % mit Migrationshintergrund.
Retrospektive Befragung von Jugendlichen
- In der retrospektiven Befragung von Jugendlichen (n=419) waren über 90 % weiblich und zumeist 18 Jahre alt. Nur 18 % wiesen einen Migrationshintergrund auf. Die Aussagekraft auch für ältere Jugendliche (erfasst werden sollten bis 24-jährige), insbesondere männliche, ist somit deutlich eingeschränkt.
Bewertung der Teilnehmerstruktur
Grundsätzlich liefert die Teilnehmerstruktur eine aussagefähige Grundlage für den Gesetzgeber, um für strittige Fälle, in denen gesetzliche Regelungen erforderlich sind, Erkenntnisse zu erlangen. Dies ist für die verschiedenen Module allerdings in Bezug auf die Aussagekraft der Studie differenziert zu bewerten.
Die Basisstudie
Die deutliche Überrepräsentanz von Müttern in der Basisstudie, welche bei deutschen Forschungsvorhaben leider Tradition hat, schränkt allerdings die Aussagefähigkeit zur Situation von Vätern ein. Verschlimmert wurde dies zusätzlich durch die Veränderung des Studiendesigns und die Frage, ob Kinder befragt werden dürfen oder nicht. Letztlich lag es in der Hand des hauptbetreuenden Elternteils, meist der Mutter, ob Kontakt zum anderen Elternteil aufgenommen werden dürfte oder nicht. Erkenntnisse von beiden Eltern wird es in der Basisstudie eher von Eltern geben, die einen besseren Umgang miteinander pflegen.
Dass es auch anders gehen kann, zeigt die Gruppe der Eltern ohne Kindkontakt. Dort gibt es eine nahezu ausgeglichene Verteilung zwischen Müttern und Vätern.
In Bezug auf das Wechselmodell konnten ausreichende Erkenntnisse gesammelt werden, um differenzierende Informationen zwischen Residenz- und Wechselmodell zu erheben.
Das Geschlechter-Ungleichgewicht in der Basisstudie mag zusätzlich auch auf die Art der Rekrutierung von Teilnehmenden zurückzuführen sein. Neben öffentlichen Aufrufen ging man auch direkt auf Organisationen zu:
„Überregional ist Kontakt zu Verbänden von Alleinerziehenden und zu Initiativen für Alleinerziehende sowie Fraueninitiativgruppen/Frauenunterstützungssystemen aufgenommen worden. Hier wurden ebenfalls noch einmal 34 Institutionen kontaktiert (z.B. Beratungseinrichtung für Alleinerziehende in Paderborn; Impulsreich -Projekt für generationsübergreifende Begegnung für Alleinerziehende in Herford).“
Weshalb ausschließlich Alleinerziehenden- und Frauenorganisationen angesprochen wurden, nicht aber Kinder-, Väter- oder Elternorganisationen, ist nicht nachvollziehbar. Dies dürfte eher zu Verzerrungen zugunsten dieser Gruppen beigetragen haben.
Zum Thema häusliche Gewalt kann die Basisstudie nur wenig Erkenntnisse liefern. Es wurde lediglich abgefragt, ob nicht näher spezifizierte häusliche Gewalt eine Rolle im Trennungsgeschehen gespielt hat. Um welche Gewaltformen es sich handelte, von wem die Gewalt ausging oder ob es rechtliche, medizinische oder psychische Konsequenzen nach sich zog, wurde nicht abgefragt.
Die retrospektive Befragung von jungen Erwachsenen
Aufgrund der sehr eingeschränkten Teilnehmerstruktur sollten die Erkenntnisse nur als „Impulse“ und Anhaltspunkte gesehen werden. Sie liefern kein vollständiges Bild von männlichen jungen Erwachsenen oder von jungen Erwachsenen im Altersspektrum von 19 – 24 Jahren. Diese könnten bereits mehr Möglichkeiten gehabt haben, Abstand zum Elternhaus und zur Trennungssituation zu gewinnen und so ihre Sichtweise noch anders darzustellen.
Die Teilstudie „Häusliche Gewalt“
Diese kann nur als Etikettenschwindel bezeichnet werden. Gewalt gegen Kinder und Väter wird ebenso wenig betrachtet wie Gewaltausübungen, welche nicht zu einem Aufenthalt im Frauenhaus führten. Dies dürfte der weitaus größte Anteil der Fälle sein, der in der Teilstudie „häusliche Gewalt“ überhaupt nicht erfasst wurde.
Auffällig ist auch, dass dieser Teilbereich umfangreiche allgemeine Ausführungen und anekdotische Berichte enthält. Diese finden sich in den anderen Studienteilen nicht. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass dieser Teilbereich nicht von den Studienautoren, sondern von einer Mitarbeiterin der Uni Bremen, welche ihre Doktorarbeit zum Themenfeld „häusliche Gewalt“ verfasst, durchgeführt wurde (siehe Vortrag Prof. Petermann am 11.07.2017). Dort wurde ausgeführt, im Frauenhaus sei die „Opfersituation hier eindeutig“, ungeachtet möglicher Falschaussagen und Falschbeschuldigungen. Dies lässt bereits Zweifel an der Neutralität der Herangehensweise aufkommen.
Ungeachtet der auch von den Studienleitern in ihrer Auswertung betonten, nur mit „Vorsicht“ (13.11.2019) bzw. „nur mit extremer Vorsicht“ (02.05.2019) heranzuziehenden Ergebnisse dieser Teilstudie, liefert diese zumindest wertvolle Hinweise, wie Unterstützung von Frauen in Frauenhäusern verbessert werden könnte. Gleiches würde dann auch für Männer in Männerhäusern gelten. Diese sind bisher nur nahezu nicht existent und vor allem, im Gegensatz zu Frauenhäusern, nicht staatlich gefördert.
Aussagekraft der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“
„Kindeswohl und Umgangsrecht“ dürfte die Studie mit der höchsten Aussagekraft zu Trennungseltern, insbesondere auch in strittigen Fällen in Deutschland besitzen. Dies vor allem deshalb, da auch objektivere Erkenntnisse zu Vätern und Kindern geliefert wurden. Auch wurde die Situation in beiden Haushalten, in denen Kinder nach einer Trennung leben, erforscht.
Das AID:A-Survey „Aufwachsen in Deutschland“ des dji hatte in der Aussagekraft der Studie beispielsweise mit 96,1 % weiblichen Auskunftspersonen deutliche Defizite. Auch die FAMOD-Studie hatte einen Mütter-Anteil je nach Betreuungsmodell von 76,2 % bis hin zu 92,2 %. Sie wertete vorliegende Daten von Vätern vielfach überhaupt nicht aus. Beide Studien lieferten zudem keine expliziten Daten zu strittigen Trennungsfällen. Sie sind somit für gesetzgeberische Entscheidungen nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen aussagefähig.
„Kindeswohl und Umgangsrecht“ liefert daher eine belastbare, wissenschaftliche Grundlage, auf der gesetzgeberische Entscheidungen getroffen werden können.
Ob allerdings, insbesondere im Bundesfamilienministerium, welches die Studienergebnisse über Jahre zurückgehalten hat, der politische Wille existiert, bessere Gesetze für Trennungskinder und deren Eltern zu etablieren, darf angesichts der Umstände ernsthaft bezweifelt werden.