Welche Studienergebnisse und Bewertungen lassen sich aus der Arbeit der Wissenschaftler, die die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ erstellt haben, ableiten? Wir stellen dies hier dar. Es handelt sich dabei um direkte Aussagen der Wissenschaftler und um solche, die sich aus den Zusammenhängen ergeben. Die Aussagen unterziehen wir dann einer eigenen Bewertung, auch in Bezug auf Änderungsbedarfe des Gesetzgebers.
Neben vielem Erwartbaren gab es in den Studienaussagen und Bewertungen auch Überraschendes und Dinge, die die bisherige Praxis, z.B. in Bezug auf die Befragung von Kindern, infrage stellen. Zu allen Aussagen werden die Fundstellen in den Dokumenten angegeben, um ein höchstmögliches Maß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Sofern nichts anderes angegeben wird, beziehen sich die Referenzen auf die Version 13.11.2019.
Aber lassen wir zuerst die Wissenschaftler zu Wort kommen, welche in einem Factsheet die aus ihrer Sicht wesentlichsten Punkte zusammengefasst haben.
Factsheet (der Wissenschaftler)
- Einvernehmlich gefundene Umgangsregelungen fördern das Kindeswohl.
- Ein geringes Konfliktniveau zwischen Eltern in Umgangsfragen schützt die psychische Entwicklung von Kindern.
- Kinder zeigen eine gute Lebenszufriedenheit, wenn sie intensiven Kontakt zu beiden Elternteilen haben können.
- Beratung durch die Jugendhilfe wird selten in Anspruch genommen, und häufig abgebrochen.
- Kinder erleben Anhörungen im Verfahren als belastend.
- Kinder zeigen eine gute Kompetenzentwicklung und weniger psychische Auffälligkeiten, wenn Eltern Umgangsabsprachen konfliktarm und ohne Einbindung der Familiengerichtsbarkeit treffen können.
- Das Umgangsrecht konfligiert bei häuslicher Gewalt mit Fragen des Opferschutzes.
- Großeltern bilden als Schutzfaktoren eine wichtige Ressource für Kinder im Kontext von Trennung und Scheidung. Es bedarf einer Stärkung ihrer Position in familienrechtlichen Fragen.
Bewertung
Die Ergebnisse sind wenig überraschend, lassen sich an vielen Stellen auch mit gesundem Menschenverstand erklären. Sie spiegeln weitgehend den internationalen Kenntnisstand wider. So sehr unterscheiden sich Familien und ihre Kinder in Deutschland doch nicht von denen anderer Nationen, wie Politiker befürchtet hatten. Positiv ist, dass die Rolle der Großeltern als weiterer Schutzfaktor betrachtet und explizit erwähnt wurde. Diese werden sonst häufig übersehen.
Aus den Inhalten
Innerhalb der Studie gibt es noch zahlreiche weitere, interessante Ergebnisse, welche es nicht ins Factsheet geschafft haben. Einige davon betrachten wir uns genauer, denn sie geben wichtige Impulse, wie Kinder entlastet und Eltern besser unterstützt werden können. Auch sind Defizite heutiger Verfahrensweisen erkennbar. In unseren Bewertungen greifen wir dies auf uns geben Hinweise, wo der Gesetzgeber im Rahmen von Reformvorhaben nachsteuern muss. „Kindeswohl und Umgangsrecht“ bietet dafür die bisher in Deutschland wohl valideste Grundlage.
Mehr Zeit mit beiden Eltern erhöht die Lebenszufriedenheit der Kinder
Feststellung
Kinder mit hohen Betreuungsanteilen durch beide Elternteile sind tendenziell zufriedener mit ihrer Lebenssituation, wobei 95% der Kinder in beiden Betreuungsmodellen mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind (Tab. 149, Abb. 77). (Basisstudie 3.2.3.5 Kinderinterview)
Bewertung
Auffällig ist, dass ausschließlich Kinder im Residenzmodell angeben, mit ihrer Lebenssituation unzufrieden zu sein, wie aus den Tabellen hervorgeht.
Kinder sind zufriedener mit Kontakt zu beiden Eltern
Feststellung
Wenn die Kinder zum anderen Elternteil Kontakt haben, ist die Zufriedenheit mit der Umgangsregelung der Eltern größer, wobei die Kontakthäufigkeit keinen Einfluss auf die Zufriedenheit ausübt (Tab. 150, Abb. 78). (Basisstudie 3.2.3.5 Kinderinterview)
Bewertung
Fast die Hälfte der Kinder (48,3%), die keinen Kontakt zum anderen Elternteil haben, geben an, mit der Umgangsregelung unzufrieden zu sein. Dagegen sind 71,5% der Kinder, die Kontakt zum anderen Elternteil haben, mit der Umgangsregelung zufrieden. Von den unzufriedenen 28,5% mit Kontakt zum anderen Elternteil wird es auch Kinder geben, die sich mehr Kontakt wünschen. Kein Kontakt zum anderen Elternteil wirkt sich damit deutlich nachteilig auf die Zufriedenheit der Kinder aus.
Die Kinder- und Jugendhilfe hat ein Problem mit ihrem Zugang zu Vätern
Feststellung
Mütter empfinden Unterstützungs- und Beratungsleistungen fast doppelt so häufig als „sehr hilfreich“ (59,8%) wie Väter (29,3%). 70,1% der Mütter gaben ein sehr neutrales Verhalten der beratenden Person an, jedoch kein einziger Vater (0%). (Basisstudie 3.2.2.18 Qualität der Unterstützung durch die Jugendhilfe)
Bewertung
Die Kinder- und Jugendhilfe hat ein Problem mit ihrem Zugang zu Vätern. Ob dies am hohen Frauenanteil oder überholten Rollenbildern von Elternschaft liegt, wäre noch zu untersuchen. Eine Beratung und Unterstützung im Sinne der Kinder ist jedoch nur möglich, wenn beide Eltern gut angesprochen werden. Und deren ebenfalls wichtige Bedeutung für die Kinder und deren Entwicklung wird nicht nur in der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“, sondern auch in zahlreichen weiteren Forschungsarbeiten betont.
Familiengerichtliche Verfahren werden kaum positiv erlebt
Feststellung
In den 176 Familien, in denen ein familiengerichtliches Verfahren stattfand, wurde dieses von 59,6% der Betroffenen als gar nicht oder kaum positiv erlebt (Tab. 81) (Basisstudie 3.2.2.21)
Bewertung
Auch wenn sie nicht immer zu vermeiden sind, sollten die Gründe ermittelt und vor allem die außergerichtliche Einigung, z.B. durch verpflichtende Beratung, gestärkt werden. Diese weist eine deutlich höhere Zufriedenheit der Eltern auf. Dies kommt auch den Kindern zugute.
Väter sehen familiengerichtliche Verfahren positiver als Mütter
Feststellung
Mehr Väter als Mütter erlebten das Umgangsverfahren „sehr“ oder „ziemlich“ positiv (Tab. 82). (Basisstudie 3.2.2.21)
Bewertung
Während sich Mütter eher in der Jugendhilfe wahrgenommen fühlen, scheint dies bei Vätern im Familiengericht zu sein. Dies allerdings auf niedrigem Niveau (29,8 % Väter, 20,1 % Mütter). Ob dies mit dem hohen Anteil weiblicher Fachkräfte in der Jugendhilfe und damit befürchteter oder realer Solidarisierung mit dem eigenen Geschlecht zu tun hat, wäre zu untersuchen.
Das Wechselmodell wird häufiger gerichtlich als einvernehmlich erreicht
Feststellung
Dort, wo Umgänge von einem Familiengericht festgelegt wurden, resultiert zudem häufig das Wechselmodell als Ergebnis des familiengerichtlichen Verfahrens. (Basisstudie 3.3)
Bewertung
Das Ergebnis mag im ersten Moment überraschen. Ein Grund könnte sein, dass einvernehmlichen Entscheidungen zum Wechselmodell finanzielle Fehlanreize in deutschen Recht entgegenstehen. Wer sich ein wenig mehr Betreuungszeit des Kindes sichern kann, erhält vollen Kindesunterhalt bei gleichzeitig umfangreicher Betreuungsunterstützung (bis zu 49% Betreuung durch den anderen Elternteil). Anwälte müssen ihre Mandanten auf diesen Umstand hinweisen. In einer solchen Situation braucht es schon eine ausgeprägte Kind-, Gerechtigkeits- und Fairnessorientierung des hauptbetreuenden Elternteils, sich einvernehmlich auf ein Wechselmodell zu verständigen.
Solche elternbezogenen Motivatoren zur Umgangsgestaltung haben vor Gericht naturgemäß weniger Wirkung, sofern Familienrichter auf das Kindeswohl und nicht die Bedürfnisse der Eltern abstellen. Insofern ist es im Ergebnis nicht überraschend, dass Gerichte öfter das Wechselmodell anordnen, als dass es einvernehmlich vereinbart wird.
Auch angesichts der in der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ dargelegten Vorteile gemeinsamer Betreuung und einvernehmlicher Lösungen für Kinder wäre dem Gesetzgeber dringendst geraten, diesen immerwährenden Streitfaktor aus dem Weg zu räumen. Ein Unterhaltsrecht darf keine Motivation bieten, Streit zu provozieren, unter dem dann die Kinder leiden würden.
Leben die Kinder beim Vater, haben diese doppelt so oft und lange Umgang mit ihren Müttern wie umgekehrt.
Feststellung
Die Kinder treffen sich 2,3 mal mit dem getrenntlebenden Vater und 5,2 mal mit der getrenntlebenden Mutter. Das Kind übernachtet im Schnitt 6 mal bei der Mutter und 2 mal beim Vater. Monatlich beträgt die Anzahl der Wechsel zwischen den Haushalten bei getrenntlebender Mutter 2 mal, bei getrenntlebendem Vater 1 mal. Die Aufenthalte bei der Mutter liegen im Durchschnitt bei 1,5, beim Vater 0,8 Tagen. (Basisstudie 3.2.1.6 Umgang und Umgangsmodalitäten)
Bewertung
Leben die Kinder beim Vater, haben diese doppelt so oft und lange Umgang mit ihren Müttern wie umgekehrt. Väter bieten damit die deutlich bessere Gewähr dafür, dass Kindern der Kontakt zu beiden Eltern ermöglicht wird. Eine Erkenntnis, welche so in Praxis und Bewusstsein in Deutschland bisher nicht vorhanden ist und wichtige Ansatzpunkte für Politik und Rechtsprechung liefert.
Nicht das Kindeswohl, sondern Kränkungen der Elternteile gefährden Wechselmodelle
Feststellung
Bislang zeigt die Erfahrung, dass die Akzeptanz für ein Wechselmodell aufseiten gekränkter Elternteile gering ist. Wie unsere Studie zeigt, werden vor allem gerichtlich angeordnete Wechselmodelle in der Realität häufig beispielsweise durch Umgangsverstöße unterlaufen (vgl. hierzu auch Gottschalk & Heilmann, 2017). (Basisstudie 3.2.3.4 Strittige vs. einvernehmliche Umgangsregelung, Tab. 124, Abb. 74)
Bewertung
Leider liefert die Studie für diese Aussage nicht die aufgeschlüsselten Zahlen, anhand deren man dies nachvollziehen könnte, da nur nach Verstoß ja / nein und einvernehmlich / konflikthafte Umgangsregelung unterschieden wird. Die Aussage wäre aber wenig verwunderlich. Die deutsche Rechtsprechung hat lange Jahre bei Streit Wechselmodelle aufgehoben – meist zugunsten des streitenden Elternteils. Dieser sicherte sich damit vollen Unterhalt bei gleichzeitig umfangreicher Betreuungsunterstützung. Zu viele Motivatoren, um Streit zu Lasten der Kinder zu provozieren und ein Punkt, an dem der Gesetzgeber bei seinen anstehenden Reformen dringend deeskalierende Regelungen des Unterhalts vorsehen muss.
Soweit auf die mangelnde Akzeptanz „gekränkter“ Elternteile hingewiesen wird, ist dies für die therapeutische Arbeit ein wichtiger Hinweis. Für die Rechtsprechung ist es gleichzeitig eine Warnung, gekränkten Eltern nicht die Bühne zu geben, ihre Kränkungen auf Elternebene und zu Lasten der Kinder auszuagieren. Neben einem mehr auch an psychologischen Unterstützungsangeboten auf der einen muss es hier auch klare Grenzsetzungen auf der rechtlichen Seite geben, um Kinder nicht zur Waffe gekränkter Elternteile zu machen.
Häusliche Gewalt ist ein Thema, aber deutlich weniger, als man hätte vermuten können
Feststellung
Bei 27,8% der Mütter und 15,9% der Väter hat nicht näher spezifizierte häusliche Gewalt eine Rolle im Trennungsgeschehen gespielt (Abb. 22). Dabei wurde überwiegend von Schlagen und Bedrohen berichtet. (Basisstudie 3.2.2.3 Häusliche Gewalt)
Bewertung
Gewalt ist ein Thema, welches eingehend berücksichtigt werden muss. Leider geht aus den Feststellungen nicht hervor, wer aus Sicht der Befragten Verursacher der Gewalt und wer betroffen ist (Elternteil oder Kind). Rückschlüsse auf Gewaltvorfälle bei allen Trennungseltern lassen sich aus diesen Zahlen ebenfalls nicht ziehen. In der Stichprobe von „Kindeswohl und Umgangsrecht“ sind konflikthafte Trennungen deutlich überrepräsentiert. Es ist zudem möglich, dass Doppelnennungen erfolgten, wenn im Rahmen der Studie beide Eltern befragt wurden. Auf alle Trennungseltern bezogen, dürfte die Gewaltbetroffenheit eher im niedrigen einstelligen %-Bereich liegen. Immer noch zu viel, aber es zeigt sich, dass Gewalt kein Hauptthema im Zusammenhang von Trennung und Scheidung ist, wie von einigen Interessengruppen immer wieder versucht wird darzustellen.
Auch gibt es unterschiedliche Auffassungen, was als Gewalt bewertet wird. Ein böser Blick, eine andere Auffassung von Unterhaltszahlungen oder aber tatsächliche physische Gewalteinwirkung. Diese individuelle Auslegung des Gewaltbegriffes erschwert eine Einordnung. Gleiches gilt für das Täter / Opfer-Verhältnis.
Während die Kriminalstatistik im Hellfeld von ca. 80% Müttern als Opfer (bzw. richtig: Anzeigenerstatterinnen) ausgeht, weisen Dunkelfeldstudien immer wieder nach, dass häusliche Gewalt in etwas zu gleichen Teilen von beiden Geschlechtern ausgeht.
Aufklärung bringt hier hoffentlich die Erhebung LeSuBiA (Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag – eine geschlechterübergreifende Bevölkerungsbefragung zur Gewaltbetroffenheit in Deutschland), welche aktuell durchgeführt wird. Die Projektbeteiligung des BMFSFJ an dieser Studie lässt, nach den Erfahrungen mit der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“, zumindest eine gewisse Skepsis aufkommen, wie die Ergebnisse letztlich interpretiert und dargestellt werden.
Opferschutz darf nicht zugunsten überzogener Kooperationsforderungen unterlaufen werden
Feststellung
Auch durch einen Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten ist das Themenfeld „Häusliche Gewalt“ bei den juristischen Professionen häufig von Unsicherheit begleitet. So sehr Neutralität bei Richterinnen und Richtern im familiengerichtlichen Verfahren generell wünschenswert ist. Bei nachgewiesenem Vorliegen häuslicher Gewalt wünschen sich die interviewten Betroffenen eine Positionierung, und damit verbunden einen wirksamen Opferschutz. (Basisstudie, Empfehlungen V)
Bewertung
Auch wenn die Befragung zum Thema häusliche Gewalt nur auf eine sehr eng begrenzte Gruppe beschränkt wurde (nur Mütter im Frauenhaus), sollte diese Aussage ernst genommen werden. Wichtig ist aber im ersten Schritt das „nachgewiesen“, um falschen Verdächtigungen und Vorwürfen vorzubeugen. Wenn aber erwiesen ist, wer Opfer und wer Täter (geschlechtsneutral) ist, muss geprüft werden, inwieweit dem Opfer Schritte zur einvernehmlichen Lösung zugemutet werden können. Unter Umständen können hier Methoden wie Pendelmediation o.ä., in denen kein persönlicher Kontakt erforderlich ist, in einigen Fällen unterstützen.
Ein schlechtes Verhältnis zum Vater erhöht das Risiko für psychische Auffälligkeiten der Kinder
Feststellung
Bei Kindern, deren Verhältnis zum Vater keine positive Prägung aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeiten um das 2,3-fache erhöht. (Basisstudie 3.3)
Bewertung
Um Kinder psychisch gesünder aufwachsen zu lassen, sollte stärker als bisher darauf geachtet werden, das Verhältnis der Kinder zu den Vätern positiv zu gestalten und ihnen Möglichkeiten zu geben, dieses auch zu leben (siehe auch nachfolgende Feststellung zum Verhältnis der Kinder zu ihren Vätern im Wechselmodell)
Kinder haben im Wechselmodell ein besseres Verhältnis zu ihren Vätern
Feststellung
Das Verhältnis der Kinder zum Vater ist im Wechselmodell durchgehend besser als im Residenzmodell. Das Verhältnis zur Mutter wird unabhängig vom Betreuungsmodell als gut angegeben. (Basisstudie 3.2.1.3)
Bewertung
Mehr Zeit schafft mehr Möglichkeit für Qualität in der Elternbeziehung und Kinder schätzen offenbar den Kontakt zu beiden Eltern. Zudem wird die Wahrnehmung der Väter durch die Kinder im Residenzmodell auch stärker durch die Haltung und Einstellung der Mütter zum Vater geprägt, als dies im Wechselmodell der Fall ist. Dort haben die Kinder mehr eigene Erfahrungen mit ihren Vätern, welche das Verhältnis zu ihm prägen. Und wichtig, ein gutes Verhältnis zum Vater führt nicht zur Verschlechterung des Verhältnisses zur Mutter.
Die meisten Kinder sind mit der Umgangsregelung nicht zufrieden
Feststellung
Gefragt nach der Zufriedenheit mit der Kontakthäufigkeit zum anderen Elternteil, geben 257 Kinder (60,5%) an, eher nicht zufrieden zu sein (gar nicht, kaum, einigermaßen). 156 Kinder (39,5%) sind dagegen ziemlich oder sehr zufrieden mit der Häufigkeit, mit der sie Kontakt zum anderen Elternteil haben (Tab. 14). (Basisstudie 3.2.1.6)
Bewertung
In Deutschland herrscht weitgehend das Residenzmodell vor, so auch in der Studie. Festgestellt wurde auch das bessere Verhältnis zum Vater im Wechselmodell, was sich ebenfalls positiv auf die Zufriedenheit von Kindern auswirken dürfte. Ein deutlicher Indikator, Kindern zukünftig eine höhere Kontaktmöglichkeit mit beiden Eltern zu ermöglichen und dafür wie auch in anderen europäischen Staaten einen entsprechenden gesetzlichen Regel-Rahmen (Leitbild Wechselmodell) zu schaffen, von dem Gerichte im begründeten Ausnahmefall im Interesse des Kindeswohls abweichen können.
Kaum Informationen über Kontaktabbrüche
Feststellung
In 30 Fällen besteht kein Umgang mit dem anderen Elternteil. Bei ca. einem Drittel dieser Fälle hat sich das Kind gewünscht, dass kein Kontakt zum anderen Elternteil realisiert wird, bei knapp einem weiteren Drittel basiert diese Entscheidung auf weiteren Gründen (Tab. 21). Als andere Gründe werden angegeben: „Papa will nicht.“ „Vater verstorben.“ „Papa wohnt in den USA.“ „Papa meldet sich nicht mehr.“ „Kindesvater ist Alkoholiker, kein Interesse am Kind.“. (Basisstudie 3.2.1.14)
Bewertung
Aufgrund des Studiendesigns gab es nur wenige Fälle mit Kontaktabbruch zum anderen Elternteil. Dies ist bedauerlich, da diese Kinder häufig besonders stark belastet sind (siehe „Macht Kontaktabbruch zu den leiblichen Eltern Kinder krank?“, Prinz, Anna.; Gresser, Ursula, NZ Fam 989 – 994). Zwar gibt es Gründe, die einen Kontaktabbruch erforderlich machen (z.B Tod, akute Gefährdung des Kindes beim Kontakt mit dem Elternteil, der auch durch begleiteten Umgang nicht begegnet werden kann). Hier bräuchte es aber noch mehr Informationen, wie es zu Kontaktabbrüchen kommt und unter welchen Umständen diese auch verhindert werden könnten, beispielsweise, um einer vom hauptbetreuenden Elternteil vorangetriebenen Entfremdung vorzubeugen.
Kinder mögen keine richterlichen Anhörungen
Feststellung
Die meisten Kinder (59,7%) haben sich während der Befragung „mittelmäßig“ bis „schlecht“ gefühlt (Tab. 27). (Basisstudie 3.2.3.17)
Bewertung
Kein Kind möchte sich zwischen Mama und Papa entscheiden müssen. Sind die Eltern vor Gericht, ist die Spannung oftmals hoch. Die hohe Unzufriedenheit von Kindern bei gerichtlichen Befragungen sollte zum Nachdenken anregen, wie man solche Befragungen auf ein absolut notwendiges Minimum reduzieren kann.
Kinder sind zufriedener, wenn sie bei der Umgangsregelung nicht eingebunden werden
Feststellung
Erwartungskonform zeigt sich, dass Kinder größtenteils mit der Umgangsvereinbarung zufrieden sind, wenn ihre Bedürfnisse von den Eltern berücksichtigt worden sind. Überraschend mutet dagegen zunächst an, dass ein noch größerer Teil der Kinder mit der Umgangsvereinbarung zufrieden ist, wenn keine Einbindung der kindlichen Bedürfnisse stattgefunden hat. Dies kann dadurch bedingt sein, dass viele Kinder aus Loyalitätsgründen entweder die Präferenzen einzelner Elternteile übernommen oder ihre Bedürfnisse gar nicht explizit geäußert haben. In den Befragungen zeigte sich häufig, dass Kinder an Umgangsfragen nicht beteiligt werden wollten, weil sie das Gefühl hatten, sich für oder gegen Elternteile entscheiden zu müssen. Die Nichtbeteiligung an Umgangsfragen ist im Vergleich zum drohenden Loyalitätskonflikt (ich enttäusche einen Elternteil; ich möchte nicht entscheiden müssen) für viele der betroffenen Kinder offenbar das kleinere Übel. (Basisstudie 3.2.3.5)
Bewertung
Diese Feststellung steht im Gegensatz zur familienrechtlichen Praxis. Kinder haben auf der einen Seite ein eigenes Recht, ihre Vorstellungen zu äußern. Dies wird oftmals als „Kindeswille“ bezeichnet, wobei dieser zahlreichen Faktoren unterliegt. Die Frage muss nach den Feststellungen der Studie aber auch gestellt werden: haben Kinder ein Recht, ihre Positionierung zwischen oder gegen ihre Eltern zu verweigern? So, wie es ein Zeugnisverweigerungsrecht auch bei Erwachsenen gibt? Insbesondere in hochstrittigen Fällen, in denen Kindern erhöhten Loyalitätskonflikten ausgesetzt sind, werden Kinder von Verfahrensbeistand, Sachverständen, Jugendamtsmitarbeitern und Familienrichtern angehört, was erhebliche Belastungen hervorruft.
Wäre es vielleicht angemessen, Kindern zu Beginn eines Verfahrens die Frage zu stellen, ob sie sich zu dem zu klärenden Konflikt zwischen ihren Eltern äußern wollen? Wäre nicht auch dies eine Respektierung der Rechte des Kindes? Ist es angemessen, einem Kind, welches sich durch Verweigerung seiner Aussage selbst schützen möchte, durch ihm überlegene Erwachsene ausforschende Fragen zu stellen?
Diese Fragen sollten aufgrund der Ergebnisse der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ sehr ernsthaft diskutiert werden, um Kindern durch gerichtliche Verfahren und Befragungen nicht mehr als unbedingt erforderlich zumuten zu müssen.
Kaum Unterschiede bei der Zahlung von Unterhalt zwischen Müttern und Vätern
Feststellung
In den Fällen, in denen Unterhaltsverpflichtung beim anderen Elternteil besteht (n=380), kommt dieser nach Angaben des befragten Elternteils in 56,8% der Fälle seinen Unterhaltsverpflichtungen nach, entsprechend 43,2% nicht. Differenziert nach Müttern und Vätern bejahen 56,3% der Mütter und 59,2% der Väter eine eingehaltene Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils. (Basisstudie 3.2.2.5)
Bewertung
Ausbleibender Unterhalt ist, entgegen der häufig verbreiteten, öffentlichen Meinung (Thema Unterhaltspreller), kein Geschlechterthema, sondern vor allem eines der Leistungsfähigkeit. Hier sollte geschaut werden, wie Eltern, welche nicht oder nicht vollständig leistungsfähig sind, unterstützt werden können, damit die Kinder in beiden Haushalten gut versorgt sind.
Wer tatsächlich die Kosten für das Kind trägt
Feststellung
79,7% der Mütter und 47,7% Väter geben an, dass sie die Kosten für das Kind allein tragen. (Basisstudie 3.2.2.5)
Bewertung
Hier zeigt sich wohl vor allem eine Fehlwahrnehmung von hauptbetreuenden Elternteilen. Denn vor allem gezahlter Unterhalt trägt zur Deckung der Kosten des Kinds bei. Hier scheint Aufklärungsarbeit sinnvoll, um auch den Beitrag des anderen Elternteils an der Kostentragung und Versorgung des Kindes sichtbar zu machen.
Mütter profitieren finanziell mehr von einer Trennung, während Väter schlechter gestellt werden
Feststellung
Zusammengenommen berichten rund 20 % aller Mütter davon, dass sich die finanzielle Situation durch die Trennung/Scheidung verbessert habe. Dies ist bei Vätern ähnlich. Unterschiede zeigen sich dagegen in der Schlechterstellung der finanziellen Situation zwischen den Elternteilen. Während rund 55 % der Mütter Verschlechterungen berichten, trifft dies auf 65 % der Väter zu. (Basisstudie 3.2.2.5, Tab. 51)
Bewertung
Die Ergebnisse zeigen erstmals auf, dass Mütter, welche rechtlich häufig als „alleinerziehend“ gelten, finanziell bessergestellt sind als (meist unterhaltspflichtige) Väter, welche weit mehr als Mütter eine finanzielle Schlechterstellung feststellen.
Es sind nicht nur die gesellschaftlichen Wahrnehmungen zu hinterfragen, sondern auch die Praxis staatlicher Unterstützungen und Förderungen ausschließlich für „alleinerziehende“ Elternteile. Hierfür gibt es auf Basis der Ergebnisse der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ keine Rechtfertigung.
Interessant wären Zusammenhänge zwischen der Konfliktbelastung und der finanziellen Situation. Es kann vermutet werden, dass ein höherer Konflikt auch zu höheren finanziellen Belastungen führt, was ebenfalls für Maßnahmen zur Deeskalation von Nachtrennungskonflikten, wie z.B. verpflichtenden Beratungen, sprechen würde.
Bei rund 35% der Kinder fallen Umgänge oft oder sehr oft aus
Feststellung
Vielfach fallen geplante Treffen mit dem anderen Elternteil auch aus (Tab. 17). Häufig hat dies terminliche/berufliche Gründe („Weil Papa arbeiten muss.“, „Weil Mama nicht kann.“).
Bei den 6- bis 12-Jährigen fallen Tage mit dem anderen Elternteil in 26,4% der Fälle sehr oft aus (6,2% oftmals, 24,6% manchmal, 14,8% selten, 28,0% nie). In der Gruppe der 13- bis 18-Jährigen fallen in 27,4% der Fälle Tage mit dem anderen Elternteil sehr oft aus (7,2% oftmals, 26,3% manchmal, 15,7% selten, 23,4% nie). (Basisstudie 3.2.1.9)
Bewertung
Sicherlich kann es unabwendbare Gründe geben, dass Treffen zwischen Eltern und Kind nicht wahrgenommen werden können. Die hohe Quote aus den Angaben der Kinder macht aber betroffen und sollte zum Nachdenken anregen, wie hier eine höhere Verlässlichkeit erreicht werden könnte.
Es ist Aufgabe der Eltern, den Umgang verlässlich wahrzunehmen. Unzuverlässigkeit eines Elternteils in der Umsetzung von Kontakten führt zu Enttäuschungen bei Kindern und zu einem Eingriff in die zeitliche Verfügbarkeit des anderen Elternteils. Dies kann zu Spannungen auf der Kinder- wie auf der Elternebene führen. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Elternteil den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil be- oder verhindert. Hier sollten Eltern konsequent auf ihre Pflichten gegenüber ihrem Kind hingewiesen werden (u.a. in §1684 BGB Abs. 1 und 2).
Mehr Väter als Mütter setzen sich für außergerichtliche Regelungen ein
Feststellung
Eine außergerichtliche Einigung wurde meist durch die Initiative beider Elternteile realisiert (47,4%). In 28% der Fälle wurde dies vom befragten Elternteil allein angestoßen (Tab. 63). 27% der Mütter und 32,2% der Väter setzten sich für die Regelung ein. (Basisstudie 3.2.2.10)
Bewertung
Egal, ob Mütter oder Väter, dass rund 60% (n=300) der insgesamt befragten Eltern (n=499) eine außergerichtliche Einigung erzielten, ist positiv zu bewerten und sollte gefördert werden. Zu erforschen wäre, was die restlichen 40% an einer einvernehmlichen Regelung hinderte.
In über der Hälfte der Fälle werden häufige Verstöße gegen die Umgangsregelung berichtet
Feststellung
In 71,3% der Familien liegt nach Auskunft der Elternteile kein oder selten ein Verstoß gegen die Umgangsregelung seitens des anderen Elternteils vor. (Abb. 44). (Basisstudie 3.2.2.14)
Bewertung
Die Aussage der Wissenschaftler bezieht sich ausschließlich auf die Fälle, in denen „sehr“ gegen die Umgangsregelung verstoßen wurde. Dies ist schönfärberei. Bezieht man „ziemlich“ (22,9 %) und einigermaßen (18,6%) mit ein, hat man 69,5% der Eltern, die doch immer wieder Verstöße gegen die Umgangsregelung berichten. Die Gründe hierfür sollten geprüft werden. Verlässlichkeit in der Umgangsregelung schafft für Eltern und Kinder Entlastung. Nur 15,9% berichten von keinen Verstößen. Dies sollte zum Nachdenken anregen.